Orientalische Dynastien, Kreta und Griechenland
Auf den unzähligen Inseln der Agäis entwickelten sich in der Bronzezeit unter ägyptischem und mesopotamischem Einfluß eine Hochkultur, die 1. in Europa. Das bedeutendste Zentrum enstand auf der Insel Kreta.
Die Aufsplitterung in viele kleine Inseln verhinderte eine totale Zentralisierung wie im Niltal. Die Lage am Meer und die relative Unfruchtbarkeit der Insel Kreta begünstigte den Handel. Der König und oberste Priester war gleichzeitig erster Handelsherr. Kreta war nah genug von Ägypten, Syrien und Mesopotamien gelegen, um mit diesen Ländern Handel zu treiben, aber weit genug, um vor einem Machtübergriff gesichert zu sein. So lebte die Insel jahrhundertelang in Frieden. Auf Grund des Einflusses von Ägypten und Mesopotamien gelang den Minoern auf Kreta ein großer "Entwicklungs-Sprung" vom Neolithikum in die Bronzezeit! Die rasche Entwicklung zu einer handelstreibenden Stadtkultur und die schwach ausgebildete Zentralisierung ermöglichte ein weitgehendes Weiterleben der neolithischen Gentilordnung mit ihren vorpatriarchalen Prinzipien. (...)
Die Frau ist in der Kunst als Göttin, als Athletin und reich geschmücktes Mädchen ein
Hauptthema der minoischen Kunst.
In den Fresken und Vasenmalereien widerspiegelt sich einerseits die enge Beziehung zur Natur, die an die eben erst überwundene Steinzeit erinnert, anderseits die Distanz zu dieser Natur. Den Steinzeitmenschen, die direkt und ausschließlich von der Natur abhingen, war es unmöglich ein derart gefühlsbetontes und stimmungsvolles Verhältnis zu den Schönheiten der Tier- und Pflanzenwelt zu entwickeln.
Die Religion scheint in Kreta, auf Grund der oben genannten Charakteristika (schwach ausgebildete ges. Zentralisierung, Konzentration auf Handel, Nähe zur Steinzeit), keine zentrale Rolle gespielt zu haben wie in Ägypten. Wir kennen überhaupt keine Tempel und nur kleine weibliche Götterfig. Die Kunst trug ausgesprochen profanen Charakter.
Die “minoische” Kultur beeinflußte auch das griech. Festland und die kleinasiatische Küste. Es entstanden die Städte Mykene, Tyrins, Theben und Troja.
Die griech. Plastik, die ja für die gesamte weitere Entwicklung der abendländischen Kunst von entscheidender Bedeutung war, verdankt ihre Entstehung der schöpferischen Weiterentwicklung bereits bestehender Formen. Hier war die Auseinandersetzung mit Ägypten maßgebend.
Der Typus des Stehenden mit den geballten gerade am Körper anliegenden Armen und der spezifischen Schrittstellung (ein Bein leicht vors andere gesetzt) und der klaren Frontalität entspricht genau dem ägyptischen Vorbild. Aber im Motiv allein liegt noch nicht die eigentliche Aussage eines Kunstwerks.
Thematisch handelt es sich bei dem äg. Bsp. um einen Pharao, also um den König und obersten Priester. Die griech. Figur ist ein Jüngling, ein sog. Kouros, eine adlige Athletengestalt.
In der formalen Durchgestaltung fallen ebenfalls grundlegende Unterschiede auf:
die äg. Fig. ist keine Freifigur. Die Rückenpartie ist mit dem Stein verwachsen, aus dem sie gemeißelt ist. Mensch und Steinmasse bilden eine Einheit, der Mensch hat sich vom Stein nicht gelöst, er bildet eine notwendige Stütze für ihn. Nicht nur die Rückenpartie ist mit dem Stein verwachsen, auch Kopf, Arme und Beine sind durch den Stein gebunden.
Der griech. Kouros hingegen steht frei. Der Mensch hat sich vom Stein von der Natur, gelöst. Zwischen seinen Beinen und Armen ist Freiraum. Der Schritt nach vorn birgt in der Tat potentielle Bewegung. Die ganze Konzeption des Stehens ist grundlegend verschieden.
Bei der äg. Statue beruht die Standfestigkeit auf der Massengravitation, auf der Trägheit einer einheitlichen, anorganischen Masse. Bei der griech. Figur hingegen bedeutet Stehen Resultat von steigenden und fallenden Kräften. Stehen ist die Durchdringung von Bewegungskräften, von Spannungen. Stehen ist das Vermögen der Eigenenergie des Körpers. Stehen ist bewußter Akt des menschlichen Organismus. Diese Grundprinzipien griech. Plastik lassen sich bereits bei dem frühen, vom äg. Vorbild abhängigen Kouros beobachten.
Für die Griechen stand, wie wir sahen, die Gestaltung des Menschen im Zentrum ihrer künstlerischen Produktion.
Deshalb ist die Plastik das wichtigste Medium griech. Kunst. Die Auffassung wirkt sich auf die übrigen Medien aus: in der Keramik (ich erinnere an die geom. Amphore) wird der plastische Körper des jeweiligen Gefäßes betont.
So ist auch die griech. Architektur weniger eine Raumkunst als eine plastische Kunst. Der griech. Tempel besteht aus einer Zella, die das Standbild beherbergte und einem Säulenkranz. Das Standbild in der Zella ist wiederum von Säulen, also plastischen Elementen flankiert; die Mauer tritt als ästhetisches Element zurück. Die Opferhandlungen wurden aber vor und nicht im Tempel begangen, das heißt: der Innenraum der Zella blieb für die ästhetische Wirkung des Tempels unbedeutend. Allerdings müssen wir uns klar sein, daß der plastische Charakter durch den Erhaltungszustand, wo Dach und Zellawände fehlen, verstärkt wird.
Der Innenraum spielt also praktisch keine Rolle, außen und innen wird die Wirkung des Tempels durch die Plastik seiner Säulen bestimmt.
Der plastische Charakter der Tempel wird im allg. auch durch ihre Anlage hervorgehoben. So liegt das Parthenon bezeichnenderweise nicht in der Achse der Propyläen. Dem Betrachter, der die Akropolis besteigt, bietet sich keine frontale Fassade, sondern ein schräg gestelltes Objekt, wo Vorder- und Seitenansicht zugleich im Blickpunkt liegen.
Knossos Palast
Knossos Palast, Rekonstruktion
Poseidon von Artemision
Doryphoros d. Polyklet
Parthenon
Parthenon, Rekonstruktion
Gruppe von drei Göttinen
Aristoteles
Laokoon-Gruppe
Aphrodite v. Melos